Letzter Widerstand vor dem Reichstag: Flakstellung im Herzen des zerstörten Berlins, 1945.H
Ein Bild wie aus einer anderen Welt: Auf einer Straße in Ost-Berlin rollen im Jahr 1987 keine Panzer, sondern Computer durch die Stadt – montiert auf Plattformen, geschmückt mit roten Fahnen, begleitet von Slogans über Fortschritt, Technik und den Sieg des Sozialismus. Was heute seltsam oder sogar komisch wirken mag, hatte damals einen ganz klaren Zweck: Es sollte demonstrieren, dass die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Bereich der Technologie nicht hinter dem Westen zurücklag – und dass der Sozialismus sogar die Zukunft der Informationstechnik verkörpere.
In der DDR waren Paraden kein seltener Anblick. Am 1. Mai (Tag der Arbeit) oder zum Republikgeburtstag am 7. Oktober wurde regelmäßig mit großem Aufwand marschiert, gefahren und präsentiert – Soldaten, Arbeiterkollektive, Studenten und eben auch Technik. Diese Paraden waren Schaufenster der Ideologie: Alles, was Stärke, Fortschritt oder Einheit symbolisierte, wurde zur Schau gestellt. Und in den 1980er-Jahren galt das ganz besonders für Computertechnik.
Während im Westen Firmen wie IBM, Apple oder Commodore die Märkte eroberten und die private Nutzung von Computern immer populärer wurde, versuchte die DDR mit eigenen Entwicklungen wie dem Robotron KC 85, dem A 5120 oder dem BIC mitzuhalten. Diese Geräte waren jedoch größtenteils nur im industriellen oder schulischen Kontext zugänglich – für Privatpersonen nahezu unerreichbar.
Die DDR-Regierung verstand sehr genau, dass Informationstechnologie als strategischer Bereich galt – wirtschaftlich, militärisch und symbolisch. Dass Computer auf einer Parade mitgeführt wurden, war also kein Zufall, sondern Ausdruck eines staatlich inszenierten Selbstbewusstseins. Die Botschaft lautete: „Auch wir beherrschen die Zukunft.“
Tatsächlich hatte die DDR eine beachtliche IT-Industrie – zumindest gemessen an den Rahmenbedingungen. Der Kombinat Robotron in Dresden war das Herzstück dieser Bemühungen. Es produzierte PCs, Lochkartenmaschinen, Drucker, Software – jedoch fast ausschließlich für den Eigenbedarf oder für den Export in andere Ostblockstaaten. Technisch hinkten viele dieser Geräte westlichen Standards hinterher, nicht zuletzt wegen Embargos, die moderne Bauteile aus dem Westen blockierten.
Alltag und Realität
Für die meisten Bürgerinnen und Bürger der DDR blieben Computer jedoch etwas Abstraktes. Nur wenige Schulen waren mit IT-Ausrüstung ausgestattet, und der private Zugang war fast nicht vorhanden. Während westdeutsche Jugendliche bereits mit C64, Atari oder Amiga erste Programmiererfahrungen sammelten, blieb die Computerwelt in der DDR vor allem ein staatliches Projekt – kontrolliert, begrenzt und ideologisch gefiltert.
Dennoch war das Interesse groß. Jugendliche nahmen an Arbeitsgemeinschaften teil, lasen Zeitschriften wie „Jugend + Technik“ und träumten von einer eigenen Tastatur zuhause. In diesem Kontext waren Bilder von Computerparaden ein zweischneidiges Schwert: Sie sollten Begeisterung wecken, ließen aber auch erkennen, wie weit Wunsch und Wirklichkeit auseinanderlagen.
1987 war ein besonderes Jahr. Die DDR existierte noch in ihrer gewohnten Form, doch Risse im System wurden sichtbarer. Die sowjetische Reformpolitik unter Gorbatschow (Glasnost und Perestroika) löste in vielen Ostblockstaaten Debatten und Veränderungen aus – nicht so in der DDR. Die Führung unter Erich Honecker hielt starr am Kurs fest: Fortschritt ja, aber ohne politische Öffnung.
Genau in diesem Klima wirkte eine Parade mit Computern wie ein Versuch, Stärke zu suggerieren, wo Unsicherheit wuchs. Technik als Beruhigungspille. Modernität als Kulisse.
Nachklang
Nur zwei Jahre später, im Herbst 1989, fiel die Mauer. Das, was 1987 noch mit großem Aufwand inszeniert wurde, zerfiel innerhalb weniger Monate. Die Betriebe, die Computer produzierten, wurden abgewickelt oder privatisiert. Robotron verschwand – ebenso wie viele andere „Leuchttürme“ der DDR-Industrie.
Heute sind die alten DDR-Computer gesuchte Sammlerstücke. Museen und Technikliebhaber restaurieren und archivieren sie als Teil der Computergeschichte – und als Erinnerung daran, wie eng Technik, Politik und Ideologie einst verknüpft waren.
Fazit:
Die „Computerparade“ von 1987 bleibt ein faszinierendes Zeitdokument. Sie steht für den Stolz der DDR auf ihre technische Leistungsfähigkeit – aber auch für den Widerspruch zwischen Schein und Sein. In einer Welt, in der Informationen kontrolliert und Technik inszeniert wurden, war sogar ein Computer nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Symbol.