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Deutschlands vergessene Heimkehrer – Das stille Leiden der Kriegsversehrten nach 1918.H
Als im November 1918 die Waffen endlich schwiegen, kehrten rund sechs Millionen deutsche Soldaten aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs in ihre Heimat zurück. Doch für viele war es keine Heimkehr in Frieden – sondern in Einsamkeit, Ablehnung und körperlichem Leid.
Mehr als 800.000 kamen aus der Kriegsgefangenschaft zurück, oft entkräftet, gebrochen. Besonders hart traf es jedoch jene 1,5 Millionen Männer, die als “Kriegsversehrte” oder damals auch abschätzig “Kriegskrüppel” bezeichnet wurden – Männer ohne Beine, ohne Arme, ohne Gesichter.
Der Anblick dieser Überlebenden erschütterte das Stadtbild der Weimarer Republik. Auf den Straßen Berlins, Münchens oder Kölns begegnete man Männern mit Prothesen, mit Stahlmasken, oder – in besonders schlimmen Fällen – ohne sichtbare Gesichtszüge. Der Schriftsteller Joseph Roth schilderte das Grauen drastisch:
“Das Kinn ist weggeschossen, und Nase und Oberlippe hängen frei in der Luft. Oder nur ein halbes Kinn fehlt. Und dafür eine Nasenhälfte der Länge nach. Oder quer durch das ganze Gesicht fuhr eine Granate spazieren, und ihr Führungsring blieb im Ebenbilde Gottes haften.”
Diese Männer trugen den Krieg unauslöschlich im Gesicht. Anders als die Toten, die als Helden in der Erinnerung verblieben, waren sie lebendige Mahnmale – für das Scheitern, für das Grauen, für eine Generation, die zerstört worden war. Doch anstatt Mitgefühl zu erfahren, begegnete ihnen oft Ablehnung, Ekel oder gar Hass.
Fritz Wittels, ein österreichischer Psychoanalytiker, beschrieb die Reaktionen der Zivilbevölkerung so:
“Die Heimkehrer fühlten den Vorwurf in den Blicken der Hinterländler: ‘Was sucht ihr hier? Warum seid ihr nicht tot?'”
Für viele Überlebende war das Überleben eine Bürde. Sie fanden kaum Arbeit, viele waren psychisch schwer gezeichnet. Die Diagnose “Kriegszitterer” – heute als posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bekannt – wurde kaum ernst genommen. Wer nicht mehr “funktionierte”, wurde als Schwächling abgestempelt.
Die Gesellschaft suchte nach Helden, nach Vorbildern für den Wiederaufbau. Doch diese Männer mit zerschnittenen Gesichtern, mit Rollstühlen und Metallarmen, passten nicht in das Bild. Ihre bloße Existenz störte das öffentliche Bedürfnis nach „Normalität“. Während Denkmäler für Gefallene errichtet wurden, verschwanden viele Versehrte in Heimen, Krankenhäusern oder in der Armut.
Dennoch waren diese Männer Helden – nicht für das Töten, sondern für das Überleben. Sie kämpften sich durch ein Leben voller Hürden, voller gesellschaftlicher Ausgrenzung und ohne staatliche Unterstützung, die diesen Namen verdient hätte. Viele versuchten, ihre Gesichter zu verstecken – durch Masken, durch Rückzug aus der Öffentlichkeit. Einige begingen Suizid. Andere wurden zu Kämpfern für ihre Rechte – in Selbsthilfegruppen, Veteranenverbänden oder als Künstler, die das Erlebte verarbeiteten.
Ihre Geschichte wurde über Jahrzehnte kaum erzählt. Erst in jüngerer Zeit beginnt man, ihnen einen Platz im kollektiven Gedächtnis zu geben – als Mahnung, als Warnung, als Erinnerung daran, was Krieg wirklich bedeutet.