April 1945 – Versteckte Düsenjäger im Salzbergwerk von Tarthun: Ein gescheitertes Projekt der letzten Kriegsmonate.H
Im April 1945, nur wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, machten alliierte Truppen tief im Inneren eines Salzbergwerks bei Tarthun – dem heutigen Bördeaue in Sachsen-Anhalt, Deutschland – eine überraschende Entdeckung. In den weitläufigen unterirdischen Stollen standen Reihen von teilweise fertiggestellten Heinkel He 162 „Volksjäger“, still, unbenutzt und nie zum Einsatz gekommen. Es war ein Moment, der den Zustand des deutschen Rüstungswesens in den letzten Kriegsmonaten eindrucksvoll widerspiegelte.

Die Heinkel He 162 war als Notlösung konzipiert. Ende 1944, als die Luftüberlegenheit der Alliierten längst erdrückend war, suchte die deutsche Führung nach einem einfachen, schnellen und kostengünstigen Düsenjäger. Das Ergebnis war ein Flugzeug, das in Rekordzeit entwickelt wurde: leicht, kompakt, mit einem oben montierten Strahltriebwerk und weitgehend aus Holz gefertigt – da Metall und Facharbeiter fehlten.
Der Name „Volksjäger“ sollte suggerieren, dass dieses Flugzeug massenhaft produziert und sogar von nur kurz ausgebildeten Piloten geflogen werden könne. In der Realität jedoch war die He 162 technisch anspruchsvoll, instabil bei hohen Geschwindigkeiten und gefährlich im Flug. Viele Test- und Ausbildungsflüge endeten mit Abstürzen. Dennoch lief die Produktion weiter – aus Mangel an Alternativen.

Um die Flugzeuge vor alliierten Bombenangriffen zu schützen, wurde die Endmontage zunehmend unter die Erde verlegt. Salzbergwerke boten ideale Bedingungen: stabile Stollen, konstante Temperaturen und Schutz vor Luftangriffen. Das Bergwerk bei Tarthun wurde zu einem solchen Verlagerungsort. Hier sollten Rumpf, Tragflächen und Triebwerke zusammengefügt werden, bevor die Maschinen an Einsatzverbände ausgeliefert würden.
Doch als die Alliierten im April 1945 das Gebiet erreichten, war davon kaum noch etwas übrig. In den Stollen fanden sie Dutzende He 162, einige nahezu vollständig montiert, andere noch in Einzelteilen. Es fehlte an Treibstoff, Ersatzteilen, Piloten – und vor allem an Zeit. Der Krieg war faktisch verloren.
Die stillstehenden Jets im Bergwerk wirkten wie eingefrorene Relikte einer verzweifelten Hoffnung. Sie waren nie gestartet, nie geflogen, nie eingesetzt worden. Stattdessen blieben sie als Symbol eines Systems zurück, das bis zuletzt auf technische Wunder setzte, während die Realität an allen Fronten zusammenbrach.

Historiker sehen in diesem Fund ein besonders deutliches Beispiel für die Diskrepanz zwischen Planung und Wirklichkeit in den letzten Kriegsmonaten. Während auf dem Papier noch Produktionszahlen und Einsatzpläne existierten, herrschten vor Ort Chaos, Materialmangel und Orientierungslosigkeit. Zwangsarbeiter, die oft unter unmenschlichen Bedingungen in solchen Verlagerungsprojekten eingesetzt wurden, konnten die ambitionierten Vorgaben kaum erfüllen.
Auch militärisch hätte die He 162 den Kriegsverlauf nicht mehr beeinflussen können. Selbst wenn alle im Bergwerk gefundenen Maschinen fertiggestellt worden wären, hätten sie weder die alliierte Luftherrschaft gebrochen noch den Vormarsch am Boden aufgehalten. Der „Volksjäger“ war ein Produkt der Verzweiflung, nicht der strategischen Realität.
Nach der Entdeckung wurden viele der Flugzeuge untersucht, einige demontiert, andere verschrottet. Wenige Exemplare überlebten in Museen. Die meisten verschwanden – genau wie die Stollen, die später wieder verschlossen oder anderweitig genutzt wurden. Was blieb, war die Geschichte dieses Ortes.
Heute erinnert in Bördeaue kaum etwas an diese Episode. Das Salzbergwerk wirkt still und unscheinbar. Doch unter der Erde lag einst ein ambitioniertes, aber zum Scheitern verurteiltes Rüstungsprojekt verborgen. Die unvollendeten Heinkel He 162 erzählen von einer Zeit, in der technologische Innovation als letzter Ausweg galt – selbst als alles andere bereits verloren war.
Der Fund von Tarthun zeigt eindrucksvoll, dass Geschichte nicht nur auf Schlachtfeldern geschrieben wird. Sie entsteht auch in Werkhallen, Bergwerken und improvisierten Produktionsstätten. Orte wie dieser machen sichtbar, wie weit ein Krieg in das Land und seine Infrastruktur eindringt.
Die stillen Düsenjäger im Salzbergwerk stehen heute sinnbildlich für das Ende eines Kapitels: große Versprechen, enorme Anstrengungen – und ein Ergebnis, das nie Wirklichkeit wurde. Sie erinnern daran, dass technische Projekte keine Ideologien retten können, wenn die menschlichen und politischen Grundlagen längst zerfallen sind.




