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Gegen das System, aber mit Dienstwagen: Die Zerreißprobe der Barbara Junge und die Seele der taz.H

Ein frischer Wind sollte wehen, doch stattdessen ist es ein Sturm. Barbara Junge, die neue Chefredakteurin der renommierten „tageszeitung“ (taz), trat ihr Amt an und fand sich unmittelbar im Epizentrum einer Kontroverse wieder, die an den Grundfesten der linken Ikone rüttelt. Der Vorwurf, so pointiert wie ein Dolchstoß: „Gegen das System, aber mit Dienstwagen.“ [0:0:1] Es ist ein Satz, der weit mehr ist als eine spöttische Bemerkung. Er ist das Symbol für eine tiefe ideologische Krise, einen Richtungsstreit um Identitätspolitik, Gendern und die Frage, was es heute überhaupt noch bedeutet, “links” zu sein.

Kaum waren die Büroschlüssel übergeben, explodierte die Debatte. Auslöser war ein Artikel aus dem eigenen Haus, der sich kritisch mit dem Umgang mit Gendern und Identitätspolitik auseinandersetzte. Ein Text, der offenbar einen wunden Punkt traf. Die Reaktionen waren massiv, sowohl intern aus der Redaktion als auch extern von der treuen Leserschaft. Der Vorwurf des Verrats stand im Raum. Hat sich die taz, das einstige Sprachrohr der fundamentalen Systemkritik, zu weit von ihrer Basis entfernt? Ist sie, wie Kritiker monieren, „zu woke“ geworden [0:1:7]?

Inmitten dieses Aufruhrs steht Junge, die nun nicht nur eine Zeitung, sondern auch eine zutiefst gespaltene Gemeinschaft moderieren muss. In einem Interview mit Nicole Diekmann bei ZDFheute stellte sie sich der Kritik – und dem berüchtigten Dienstwagen.

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Der Dienstwagen ist ein mächtiges Symbol. Für eine Zeitung, die 1979 aus einer Bewegung heraus entstand, die das Establishment fundamental infrage stellte, wirkt ein solches Statussymbol der Konzernwelt wie ein Anachronismus, schlimmer noch: wie Heuchelei. Der Vorwurf zielt direkt auf eine vermeintliche Doppelmoral. Man könne nicht Wasser predigen und Wein trinken; nicht das System kritisieren und gleichzeitig dessen Privilegien genießen.

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Barbara Junge pariert den Vorwurf mit einer Mischung aus Gelassenheit und Pragmatismus. Ja, sie habe diesen Dienstwagen, bestätigt sie offen. Es sei ein „pragmatischer Teil ihrer Arbeit, um mobil zu sein“. Doch sie wehrt sich vehement gegen die Schlussfolgerung, dies ändere etwas an ihrer Haltung oder der der Zeitung. Für Junge ist dies eine „alte Debatte“. Sie vertritt eine Position, die in puristischen Kreisen oft verpönt ist: Man könne das System nicht nur von außen kritisieren. Man müsse auch „Teil davon sein, um etwas zu bewirken“. Handlungsfähigkeit, so Junge, sei entscheidend.

Es ist der klassische Konflikt zwischen fundamentaler Opposition und realpolitischer Teilhabe. Junge positioniert die taz im Jahr 2024 als eine Kraft, die sich Wandel und Relevanz bewahren muss, auch wenn das bedeutet, sich auf die Realitäten des 21. Jahrhunderts einzulassen – Dienstwagen inklusive.

Doch der fahrbare Untersatz ist nur die Spitze des Eisbergs. Der wahre Kern des Konflikts liegt tiefer: Es ist der Kampf um die Seele der modernen Linken, ausgetragen am Beispiel der Identitätspolitik. Der kontroverse Artikel, so Junge, habe die Sorge thematisiert, man könne sich „in Einzelinteressen verlieren“ und dabei die große Linie, den Kampf gegen ökonomische Ungleichheit – die „soziale Frage“ – aus den Augen verlieren.

Es ist eine Debatte, die die Linke weltweit spaltet. Auf der einen Seite stehen jene, die warnen, der Fokus auf Genderthemen, Rassismuskritik und die Rechte von Minderheiten würde die traditionelle Arbeiterklasse entfremden und dem politischen Gegner in die Hände spielen. Der Artikel, so räumt Junge ein, wurde von vielen als „Verrat empfunden“, als „Anbiederung an einen rechten Diskurs“ [0:3:1].

Auf der anderen Seite verteidigt Junge die Notwendigkeit dieser Debatte. Mehr noch, sie weigert sich, das eine gegen das andere auszuspielen. „Kämpfe um Anerkennung, um die Rechte von Minderheiten, sind Teil des linken Projekts“, stellt sie klar. Für sie sind diese Kämpfe nicht von der sozialen Frage losgelöst, sondern bedingen sich oft gegenseitig. „Armut trifft marginalisierte Gruppen oft härter“, fügt sie hinzu.

Hier offenbart sich die Herkulesaufgabe, vor der Barbara Junge steht. Sie muss den Beweis antreten, dass Klassenkampf und Identitätspolitik keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten derselben Medaille im Kampf um Gerechtigkeit. Sie will eine Chefredakteurin des “Sowohl-als-auch” sein, in einer Zeit, die oft nur noch das “Entweder-oder” zulässt.

Barbara Junge (taz) zur Migrationsdebatte

Wie will sie die tiefen Gräben überbrücken, die sich durch Redaktion und Leserschaft ziehen? Ihre Antwort ist so einfach wie ambitioniert: „Durch Dialog“. Junge will keinen Einheitskurs diktieren, sondern die taz als das erhalten, was sie ihrer Meinung nach immer war: ein pluralistischer Raum, in dem „unterschiedliche linke Positionen miteinander ringen können“. Die taz soll ein Ort der Auseinandersetzung bleiben, auch wenn es „wehtut“.

Sie beschwört die DNA der Zeitung. Die taz sei „keine starre Organisation, sondern ein lebendiges Projekt“ [0:2:3]. Die Welt habe sich seit 1979 verändert. Heute gehe es um Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und eben auch um Identitätsfragen. Die Wurzeln seien wichtig, aber man müsse „in der Gegenwart ankommen“ [0:2:7].

Dieser Wandel führt unweigerlich zu dem Vorwurf, die taz sei „zu staatstragend geworden“, zu nah am Establishment. Junge kontert, dies sei ein „Missverständnis von kritischem Journalismus“. Kritisch zu sein heiße nicht, „fundamental dagegen zu sein“, sondern „genau hinzuschauen“ und „Machtstrukturen zu hinterfragen“, egal woher sie kommen [0:4:2, 0:4:6].

Jenseits der ideologischen Stürme kämpft die taz, wie die gesamte Branche, um ihr wirtschaftliches Überleben. Die Auflagen sinken, die Digitalisierung stellt alles auf den Kopf. Doch auch hier zeigt sich Junge kämpferisch und verweist auf die Einzigartigkeit ihres Blattes. Die taz ist unabhängig, „genossenschaftlich organisiert“ und gehört keinen Großverlagen. Ihr Überleben sichert das Modell „taz zahl ich“, ein digitales Abo-System, das auf die Freiwilligkeit und Solidarität der Community setzt.

„Unsere Leserinnen und Leser verstehen, dass guter Journalismus Geld kostet“, sagt Junge. Sie seien nicht nur Konsumenten, sondern Teil eines Projekts, viele seien Genossen. Das sei das „Pfund, mit dem wir wuchern können“.

Am Ende ihres Antrittsgesprächs im Kreuzfeuer zeichnet Barbara Junge das Bild einer Zeitung, die „schon immer mehr“ war als nur bedrucktes Papier. „Sie ist eine Haltung, ein Projekt, ein Ort der Auseinandersetzung“ [0:5:1, 0:5:4]. In einer Zeit, in der die Polarisierung zunimmt und einfache Antworten gesucht werden, sei es die Aufgabe der taz, genau das nicht zu liefern. „Wir bieten keine einfachen Antworten, wir stellen die komplizierten Fragen“.

Presseschau mit Barbara Junge | Barbara Junge

Der Sturm um Barbara Junge und ihren Dienstwagen ist mehr als eine Branchenposse. Es ist ein Symptom für die Zerrissenheit einer politischen Strömung, die um ihre Relevanz und ihre Zukunft ringt. Die neue Chefredakteurin hat sich vorgenommen, diesen Sturm nicht nur auszuhalten, sondern ihn produktiv zu nutzen – als offene Debatte. Ob ihr das gelingt, oder ob die Fliehkräfte der Identitäts- und Systemdebatten das “Projekt taz” zerreißen, wird die vielleicht spannendste Frage im deutschen Journalismus der kommenden Jahre sein.

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