Am 3. und 4. November 1943 ereignete sich eines der grausamsten, aber zugleich weniger bekannten Kapitel des Holocaust: die sogenannte „Operation Erntefest“. Innerhalb von nur zwei Tagen wurden mehr als 43.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder von den nationalsozialistischen Besatzungstruppen systematisch ermordet. Diese Massenmorde fanden nicht auf deutschem Reichsgebiet, sondern im von Deutschland besetzten Polen statt – genauer gesagt in den Konzentrations- und Arbeitslagern Majdanek, Poniatowa und Trawniki bei Lublin. Dennoch war die „Operation Erntefest“ Teil der deutschen Vernichtungspolitik und wurde von der SS unter deutscher Führung geplant, organisiert und durchgeführt.
Hintergrund: Das Ende der „Aktion Reinhardt“
Die „Operation Erntefest“ markierte das Ende der sogenannten Aktion Reinhardt, des größten Mordprogramms im Rahmen des Holocaust, das seit 1942 die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement (dem von Deutschland besetzten Teil Polens) zum Ziel hatte. Im Zuge der Aktion Reinhardt wurden in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka etwa 1,7 Millionen Juden ermordet. Nachdem diese Lager im Sommer 1943 geschlossen und teilweise zerstört worden waren, verblieben noch zehntausende Juden in Zwangsarbeitslagern, die für die deutsche Kriegswirtschaft arbeiteten.
Die nationalsozialistischen Behörden betrachteten diese jüdischen Zwangsarbeiter zunehmend als „Sicherheitsrisiko“, insbesondere nach mehreren Aufständen in den Lagern – etwa dem Aufstand in Sobibor am 14. Oktober 1943, bei dem Hunderte Häftlinge flohen. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, befahl daraufhin die „vollständige Lösung der Judenfrage“ auch in den Arbeitslagern – was im Klartext die Ermordung aller dort verbliebenen Juden bedeutete.
Planung und Durchführung der Operation
Der Befehl zur Durchführung der Operation ging direkt von Himmler aus. Die Organisation übernahm SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik, der bereits die „Aktion Reinhardt“ geleitet hatte. Der zynische Deckname „Erntefest“ – ein Begriff, der eigentlich ein bäuerliches Erntedankfest bezeichnet – sollte verschleiern, dass es sich um die systematische Vernichtung zehntausender Menschen handelte.
Am Morgen des 3. November 1943 begann die Operation im Konzentrationslager Majdanek bei Lublin. Unter dem Vorwand, Gräben ausheben zu müssen, wurden die jüdischen Häftlinge in Gruppen zu vorbereiteten Gruben geführt. Dort mussten sie sich vollständig entkleiden, ihre Wertsachen abgeben und sich nackt in Reihen vor die Gräben stellen. SS-Männer und ukrainische Hilfswillige (Trawniki-Männer) erschossen sie mit Maschinengewehren. Den ganzen Tag über hallten Schüsse und Musik über das Lagergelände – Lautsprecher spielten laute Marschmusik, um die Schreie und Schüsse zu übertönen. Bis zum Abend des 3. November waren in Majdanek etwa 18.000 Menschen ermordet worden – die größte Massenerschießung an einem einzigen Tag während der gesamten deutschen Besatzungszeit.
Am folgenden Tag, dem 4. November, setzten die SS-Einheiten die Operation in den Lagern Poniatowa und Trawniki fort. Auch hier verlief der Ablauf nach dem gleichen Muster: Die Opfer mussten sich entkleiden, in Gruben stellen und wurden systematisch erschossen. In Poniatowa starben rund 14.000, in Trawniki etwa 8.000 Menschen. Die Leichen wurden in Massengräbern verscharrt, später teilweise exhumiert und verbrannt, um Spuren zu beseitigen.
Ziel und Bedeutung der Operation
Die „Operation Erntefest“ diente mehreren Zwecken: Zum einen sollte sie die letzten noch lebenden Juden im Generalgouvernement vernichten und damit die „Judenfrage“ in diesem Gebiet endgültig „lösen“. Zum anderen war sie eine Reaktion auf die zunehmenden Widerstandsaktionen jüdischer Häftlinge und die Furcht der SS vor weiteren Aufständen. Schließlich hatte die Operation auch eine propagandistische Funktion – sie sollte den nationalsozialistischen Führern als „Erfolgsmeldung“ im Kampf gegen die Juden präsentiert werden.
Insgesamt fielen der Operation Erntefest zwischen 42.000 und 43.500 Menschen zum Opfer. Damit war sie die größte einzelne Massenerschießung des Holocaust und eine der größten in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Nachwirkungen und Erinnerung
Nach Kriegsende wurde die „Operation Erntefest“ zunächst kaum beachtet. Viele Täter entkamen oder wurden erst Jahrzehnte später vor Gericht gestellt. Odilo Globocnik selbst beging 1945 Selbstmord, um einer Verurteilung zu entgehen. Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren begann man in Deutschland und Polen, die Dimension dieses Verbrechens aufzuarbeiten.
Heute erinnern Gedenkstätten in Majdanek, Poniatowa und Trawniki an die Opfer der Operation Erntefest. In Majdanek steht ein eindrucksvolles Denkmal mit einer Aschekapsel, die an die Tausenden dort Ermordeten erinnert. Historiker sehen in der Operation Erntefest den Abschluss der „Aktion Reinhardt“ und zugleich einen Wendepunkt im Holocaust: Nach diesen Tagen existierten kaum noch jüdische Gemeinden im besetzten Polen.
Fazit
Die Operation Erntefest am 3. und 4. November 1943 war kein spontanes Kriegsverbrechen, sondern ein geplanter, bürokratisch organisierter Massenmord, der von höchsten SS-Stellen angeordnet wurde. Sie zeigt, wie kaltblütig und effizient das nationalsozialistische Vernichtungsprogramm funktionierte – bis in seine letzten Phasen. Über 43.000 Menschen wurden an nur zwei Tagen ermordet, nicht weil sie etwas getan hatten, sondern weil sie Juden waren.
Diese Tage mahnen uns bis heute: Das Erinnern ist nicht nur Pflicht gegenüber den Opfern, sondern auch eine Warnung vor der zerstörerischen Macht von Hass, Rassismus und Ideologie.
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