Letzte Verteidiger des Zusammenbruchs – Der 16-jährige Volkssturmmann von Sachsen, 1945.H
In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs verwandelte sich das Land in ein einziges Trümmerfeld. Die Fronten waren zusammengebrochen, die Städte lagen in Ruinen, und doch wurden noch immer Befehle ausgegeben, zu kämpfen – bis zum letzten Atemzug. In dieser Zeit entstand dieses erschütternde Bild: Ein 16-jähriger Junge in Sachsen, Mitglied des sogenannten Volkssturms, steht mit einer Maschinenpistole in der Hand, das Gesicht schmal, erschöpft, aber entschlossen.
Seine Armbinde und das Koppelschloss der Hitlerjugend verraten seine Herkunft: ein Jugendlicher, kaum erwachsen, hineingezogen in den aussichtslosen Kampf eines untergehenden Reiches. Der Volkssturm wurde im Oktober 1944 ins Leben gerufen – ein verzweifelter Versuch, das Unvermeidliche aufzuhalten. Männer zwischen 16 und 60 Jahren, Schüler, Arbeiter, Beamte, sogar Veteranen des Ersten Weltkriegs wurden eingezogen. Viele hatten nie zuvor eine Waffe in der Hand gehalten.
Dieser Junge aus Sachsen war einer von ihnen. In seiner Hand hält er eine Maschinenpistole, wahrscheinlich eine MP 40, viel zu groß und schwer für seinen zierlichen Körper. Auf seinem Gesicht liegt eine Mischung aus Angst und Pflichtgefühl. Er steht irgendwo am Rand eines zerstörten Dorfes, vielleicht in der Nähe von Dresden oder Chemnitz, wo sich im Frühjahr 1945 die letzten Kämpfe abspielten.
Die Alliierten rückten von Westen und Süden vor, die Rote Armee stand bereits an der Oder. Trotzdem lautete der Befehl: Widerstand bis zum Ende. Für viele junge Männer wie ihn bedeutete das den Tod – sinnlos, grausam, und doch von einer fanatischen Führung verlangt.
In den letzten Tagen des Krieges war das Wort „Ehre“ zu einer leeren Hülse geworden. Der Volkssturm wurde schlecht bewaffnet, oft ohne Uniform und ohne Ausbildung in den Kampf geschickt. Viele trugen noch ihre Schulkleidung oder alte Mäntel aus dem Ersten Weltkrieg. Sie kämpften an Straßenecken, in Wäldern, in zerstörten Häusern – gegen erfahrene Soldaten mit Panzern und Artillerie.
Was dieser 16-Jährige wohl gedacht hat? Ob er an seine Familie dachte, an ein Zuhause, das vielleicht schon in Trümmern lag? Oder ob er, geblendet von Propaganda, glaubte, er müsse „sein Vaterland retten“? Wir werden es nie erfahren.
Nach dem Krieg verschwanden viele dieser jungen Gesichter in der Masse der Vertriebenen, in den Ruinen einer verlorenen Nation. Manche kamen in Gefangenschaft, manche starben anonym, ohne Grab, ohne Namen. Nur wenige Fotos erinnern an sie – stumme Zeugen einer Generation, die um ihre Kindheit betrogen wurde.
Dieses Bild aus Sachsen 1945 ist mehr als nur ein Kriegsfoto. Es ist ein Spiegel der Verzweiflung eines ganzen Volkes. Es zeigt, was passiert, wenn eine Ideologie bis in die letzte Faser einer Gesellschaft eindringt und selbst Kinder dazu bringt, ihr Leben für eine verlorene Sache zu opfern.
Nach dem Zusammenbruch im Mai 1945 begann für das Land eine lange Zeit der Scham, des Wiederaufbaus und des Schweigens. Viele dieser ehemaligen Jugendlichen sprachen nie über das, was sie gesehen oder getan hatten. Sie trugen ihre Erinnerungen still in sich – die Angst, den Lärm, die Schreie, die brennenden Häuser.
Heute, achtzig Jahre später, schauen wir auf dieses Foto mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitgefühl. Wir sehen keinen Soldaten – wir sehen ein Kind. Ein Kind, das die Welt nicht verstehen konnte, in die es geworfen wurde.
Es erinnert uns daran, wie dünn die Grenze zwischen Pflicht und Wahnsinn, zwischen Heldentum und Verblendung sein kann. Und es mahnt uns, dass jede Generation Verantwortung trägt, damit so etwas nie wieder geschieht.