Flucht aus Monowitz: Mutige Rettung von zwei jüdischen Häftlingen durch einen deutschen Zivilisten (20. September 1944).H
Am 20. September 1944 ereignete sich im Umfeld des IG-Farben-Bauprojekts in Monowitz, einem Nebenlager des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, eine bemerkenswerte Flucht. Zwei jüdische Häftlinge, Mendel Szajngesicht (geboren am 4. Oktober 1922, Häftlingsnummer 70196) und Jakob Max Trimmer (auch Drimmer, geboren am 25. März 1920, Häftlingsnummer 69932), entkamen unter dramatischen Umständen aus dem Lager. Sie waren bereits 1942 aus dem KZ Sachsenhausen nach Auschwitz deportiert worden und hatten dort Zwangsarbeit auf der gigantischen Baustelle des IG-Farben-Werks leisten müssen.
Ihre Flucht wäre ohne die Hilfe eines Zivilisten kaum möglich gewesen. In diesem Fall war es ein deutscher Arbeiter, der – trotz großer persönlicher Gefahr – den Entschluss fasste, den beiden Männern zu helfen. Dieser Schritt war alles andere als selbstverständlich, denn zivile Helfer, die Häftlingen zur Flucht verhalfen, riskierten nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Leben. Dennoch zeigte dieser Mann außergewöhnlichen Mut und Mitgefühl.
Während der Mittagspause schmuggelte er die beiden Häftlinge in ein Lagerhaus des Werks, wo er zuvor ein Versteck in einer Schicht aus Glaswolle vorbereitet hatte. Da er über die Schlüssel verfügte, konnte er den Zugang unauffällig öffnen und die Männer vorerst in Sicherheit bringen. Die Situation war jedoch brandgefährlich: Wachsame Aufseher und auch andere Arbeiter, die mit den Lagerstrukturen kollaborierten, hätten das Versteck jederzeit entdecken können.
In der Nacht betrat der Helfer erneut das Lagerhaus. Er befreite Szajngesicht und Trimmer aus der improvisierten Versteckstätte und kleidete sie in zivile Kleidung, die er bereits vorbereitet hatte. Um die Wachsamkeit eines österreichischen Lagerverwalters zu schwächen, hatte er diesen zuvor gezielt betrunken gemacht. Anschließend führte er die beiden Häftlinge durch einen zuvor im Zaun geschnittenen Durchlass aus dem Werksgelände heraus.
Nach einer beschwerlichen Nachtwanderung gelangte das kleine Trio schließlich in das Dorf Nowa Wieś, etwa 15 Kilometer südlich von Auschwitz. Dort versteckte der Zivilist die beiden Männer zunächst in einem Schuppen hinter seinem Haus. Wochenlang versorgte er sie, obwohl er wusste, dass schon der leiseste Verdacht zu seiner Verhaftung führen konnte.
Die Fluchtgeschichte bekam später eine weitere Wendung: Zwei weitere Häftlinge nutzten das geschaffene Loch im Zaun, um auf eigene Faust die Flucht zu ergreifen. Es handelte sich um Fritz Sonnenschein (Häftlingsnummer 126358) und Heinrich Wohlmuth (Häftlingsnummer 127619), die sich unabhängig von Szajngesicht und Trimmer auf den Weg in die Freiheit machten. Ihr Schicksal verlief anders, doch die gleichzeitige Flucht zeigt, wie gefährlich und zugleich hoffnungsvoll jener Augenblick war.
Szajngesicht und Trimmer hingegen blieben mehrere Wochen in der Obhut des deutschen Zivilisten. Als die Gefahr der Entdeckung wuchs, brachte er sie nach Rybnik, wo er ein neues Versteck organisierte. Dort überlebten sie bis zur Befreiung durch sowjetische Truppen. Der Helfer selbst musste später untertauchen, da ihm die Verhaftung drohte. Er gab seine Arbeit auf und versteckte sich bis zum Einmarsch der Roten Armee.
Diese Geschichte ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen zeigt sie die brutalen Bedingungen, denen Häftlinge in Auschwitz-Monowitz ausgesetzt waren. Das IG-Farben-Werk, an dem Tausende Zwangsarbeiter und Häftlinge eingesetzt wurden, gilt als eines der größten Beispiele für die Verstrickung deutscher Industrieunternehmen in das nationalsozialistische Zwangsarbeitssystem. Die Arbeit war lebensgefährlich, die Ernährung unzureichend, und die Überlebenschancen verschwindend gering.
Zum anderen macht die Episode deutlich, dass es selbst in dieser Zeit der allgegenwärtigen Gewalt und Angst Menschen gab, die anders handelten. Der deutsche Zivilist, dessen Name nur in wenigen Quellen überliefert ist, entschied sich bewusst, Mitgefühl zu zeigen und Hilfe zu leisten. Sein Verhalten war die Ausnahme, nicht die Regel. Dennoch steht es stellvertretend für jenen kleinen, aber wichtigen Teil von Zivilcourage, der selbst im dunkelsten Kapitel der Geschichte existierte.
Die Rettung von Szajngesicht und Trimmer verdeutlicht auch, wie entscheidend Vertrauen, Vorbereitung und Ortskenntnis waren. Ohne den genauen Plan, die beschaffte Kleidung, das geschaffene Versteck und das Wissen um die Gegend wäre eine Flucht undenkbar gewesen. Gleichzeitig unterstreicht die Geschichte die Abhängigkeit der Häftlinge von äußeren Helfern. Alleine hatten sie kaum Chancen, die massiven Sicherheitsvorkehrungen und die ständige Überwachung zu überwinden.
Heute erinnern Berichte wie dieser daran, dass Geschichte nicht nur von den Taten der Mächtigen geschrieben wird, sondern auch von individuellen Entscheidungen gewöhnlicher Menschen. Der Mut eines einzelnen Zivilisten konnte zwei Menschenleben retten und ein Zeichen setzen, dass selbst im Schatten des Schreckens Menschlichkeit möglich blieb.
Für die Nachwelt ist diese Flucht ein Beispiel dafür, dass Widerstand viele Gesichter hatte – von bewaffneten Aufständen über Sabotageakte bis hin zu stillen, mutigen Taten Einzelner. Szajngesicht und Trimmer überlebten, weil jemand bereit war, alles zu riskieren. Ihre Geschichte ist ein stilles Zeugnis der Hoffnung, die auch inmitten der grausamsten Umstände weiterlebt.