Es war ein Sonntagmorgen, der 13. August 1961, als die Berliner erwachten und feststellen mussten, dass sich über Nacht die Welt verändert hatte. Während viele noch schliefen, hatten bewaffnete Kräfte der DDR begonnen, Straßen zu sperren, Gleise zu unterbrechen und Stacheldrahtbarrieren zu errichten. Die Stadt, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter der Verwaltung der vier Siegermächte stand, wurde nun endgültig in zwei Hälften geteilt.
Das Foto, das hier zu sehen ist, fängt einen entscheidenden Moment dieser dramatischen Tage ein: Arbeiter, umgeben von Volkspolizisten und Soldaten der DDR, errichten die ersten festen Sperranlagen – den Vorläufer der später berüchtigten Berliner Mauer. Im Vordergrund sieht man Männer mit Schubkarren, die Zement anmischen, während andere schwere Betonblöcke und Hohlsteine aufeinander stapeln. Einige Soldaten stehen mit verschränkten Armen oder halten Wache, während im Hintergrund Passanten und Schaulustige das Geschehen beobachten.
Damals war das Bild der Stadt geprägt von den Spuren des Krieges. Noch immer klafften große Baulücken, viele Häuser waren Ruinen oder provisorisch instand gesetzt. Die offenen Straßen zwischen Ost- und Westteil Berlins waren über Jahre hinweg ein Schlupfloch für Hunderttausende, die der DDR den Rücken kehren wollten. Seit 1949 hatten mehr als 2,5 Millionen Menschen die Grenze in Richtung Westen überquert – oft durch Berlin, wo die Sektorengrenze bis dahin vergleichsweise leicht zu überwinden war.
Für die DDR-Führung war diese Abwanderung eine Katastrophe. Ärzte, Ingenieure, Handwerker und junge Fachkräfte verließen in Scharen das Land. Walter Ulbricht, der damalige Vorsitzende des Staatsrats, hatte noch im Juni 1961 öffentlich betont: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Nur wenige Wochen später begann jedoch genau das – nicht als offenes Bauprojekt, sondern als plötzlich durchgeführte militärische Operation.
Der erste Tag bestand nicht aus einer massiven Betonmauer, wie man sie später kannte. Zunächst wurden Stacheldrahtrollen, Holzbarrieren und provisorische Absperrungen aufgestellt. In den folgenden Tagen und Wochen wurden diese durch immer stabilere Hindernisse ersetzt: Betonplatten, Mauersegmente, Metallgitter. Das Foto zeigt eine Phase, in der der Stacheldraht bereits teilweise durch feste Bauelemente ersetzt wird. Die Stimmung auf der Straße ist angespannt. Einige der Männer arbeiten routiniert, als ob es eine gewöhnliche Baustelle wäre – doch der historische Einschnitt ist enorm.
Für die Anwohner bedeutete die Mauer, dass Familien auseinandergerissen wurden. Manche konnten von ihrem Fenster aus noch Verwandte auf der anderen Straßenseite sehen, sie aber nicht mehr besuchen. Arbeitswege wurden abgeschnitten, Freundschaften zerrissen, Liebespaare getrennt. Auch für Westberliner war es ein Schock: Von einem Tag auf den anderen war der spontane Spaziergang in den Ostteil der Stadt unmöglich.
Politisch betrachtet war der Bau der Mauer eine Machtdemonstration der Sowjetunion und ihrer Verbündeten. Westliche Truppen standen wenige Kilometer entfernt in West-Berlin, und die Luft war erfüllt von der Gefahr einer direkten Konfrontation. Nur wenige Wochen nach Beginn der Bauarbeiten kam es am Checkpoint Charlie zu einer Panzer-gegen-Panzer-Konfrontation zwischen US- und sowjetischen Einheiten – ein Moment, in dem der Kalte Krieg beinahe heiß geworden wäre.
Doch im Alltag der Berliner setzte sich bald ein bitterer Alltag durch. Die DDR bezeichnete die Mauer als „antifaschistischen Schutzwall“, offiziell gedacht, um „westliche Agenten und Provokateure“ fernzuhalten. Für die meisten Menschen war jedoch klar: Die Mauer diente vor allem dazu, die eigene Bevölkerung am Weggehen zu hindern.
Das Foto ist deshalb so eindringlich, weil es den Anfang dieses 28 Jahre andauernden Bauwerks zeigt. Später sollte die Mauer aus mehreren hintereinander gestaffelten Sperranlagen bestehen – mit Signalzäunen, Wachtürmen, Hundelaufanlagen und Todesstreifen. Doch hier, im Sommer 1961, war es noch eine vergleichsweise einfache Barriere, errichtet von Männern in Arbeitskleidung unter der Aufsicht von Uniformierten.
In den Gesichtern erkennt man eine Mischung aus Konzentration, Pflichtbewusstsein und vielleicht auch Unsicherheit. Manche dieser Arbeiter waren möglicherweise überzeugt, dem Sozialismus einen Dienst zu erweisen; andere taten schlicht ihren Job, weil sie angewiesen wurden. Es ist schwer zu sagen, ob sie damals das ganze Ausmaß dessen begriffen, was sie hier errichteten – ein Symbol der Teilung, das Generationen prägen würde.
Für die Geschichtsschreibung ist dieses Bild ein Dokument des Augenblicks, in dem aus einer offenen, wenn auch politisch gespaltenen Stadt eine Stadt der Mauern, Sperren und Grenzen wurde. Es ist ein stiller, aber eindrucksvoller Beweis dafür, wie abrupt politische Entscheidungen in das Leben von Millionen Menschen eingreifen können.
Heute, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer, wirkt diese Szene fast surreal. Wo damals Männer Steine aufeinander setzten, fahren heute Autos und Fahrräder ungehindert vorbei. Straßen, die einst von Stacheldraht durchschnitten wurden, sind wieder durchgehend begehbar. Und doch bleibt die Erinnerung lebendig – auch dank solcher Fotografien, die den Beginn einer der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte festhalten.
Das Foto lädt uns ein, nicht nur den historischen Kontext zu verstehen, sondern auch über die persönlichen Schicksale nachzudenken, die dahinter stehen. Jeder Stein, der hier gesetzt wird, steht sinnbildlich für eine versperrte Tür, eine unterbrochene Verbindung, ein erzwungenes Lebenskaptel. Für die einen war es ein Akt der „Staatsverteidigung“, für die anderen ein Schlag gegen die Freiheit.
So bleibt der 13. August 1961 ein Datum, das in Berlin und weit darüber hinaus im kollektiven Gedächtnis verankert ist – als der Tag, an dem eine Stadt geteilt und ein Volk noch tiefer gespalten wurde. Dieses Bild ist ein Fenster in eben jenen Moment, eingefroren in Schwarz-Weiß, doch voller Geschichten, die bis heute nachhallen.