Wahl-Eklat in Bad Salzuflen: Wenn demokratische Ergebnisse zur „schlimmen Sache“ erklärt werden – Ein Lehrstück über Doppelmoral und Machtspiele.H
Es ist ein Vorgang, der in diesen Tagen nicht nur im beschaulichen Nordrhein-Westfalen, sondern in der ganzen Bundesrepublik für hitzige Debatten sorgt. Ein politisches Beben, das die Grundfesten unseres demokratischen Miteinanders erschüttert und eine Frage in den Raum wirft, die viele Bürger zunehmend umtreibt: Wie viel ist der Wählerwille eigentlich noch wert, wenn das Ergebnis nicht in das Weltbild der etablierten Parteien passt? Der Schauplatz dieses unglaublichen Dramas ist Bad Salzuflen, eine Kurstadt im Kreis Lippe, die eigentlich für ihre Ruhe und Weltoffenheit bekannt ist. Doch im dortigen Rathaus spielen sich derzeit Szenen ab, die man eher in einem politischen Thriller vermuten würde als in der Realität einer deutschen Kommune.
Der “Unfall” von Bad Salzuflen
Alles begann an einem eigentlich routinemäßigen Mittwoch. Im Stadtrat stand die Wahl der stellvertretenden Bürgermeister an. Ein formaler Akt, so dachte man. Die Karten schienen gemischt, die Absprachen zwischen den großen Fraktionen getroffen. Doch dann kam der Moment, der den Saal verstummen ließ und die Gesichter der anwesenden Kommunalpolitiker augenblicklich gefrieren ließ. Sabine Reinknecht, die Kandidatin der Alternative für Deutschland (AfD), wurde zur dritten stellvertretenden Bürgermeisterin gewählt.

Das allein wäre in der heutigen politischen Landschaft schon eine Nachricht wert. Doch das eigentliche Brisante an diesem Vorgang ist die Mathematik dahinter: Die AfD-Fraktion im Rat von Bad Salzuflen verfügt lediglich über 13 Sitze. Sabine Reinknecht erhielt jedoch 16 Stimmen.
Es braucht kein Mathematikstudium, um zu erkennen, was hier passiert ist. Mindestens drei Abgeordnete aus anderen Lagern – sei es von der CDU, der SPD oder anderen Gruppierungen – müssen in der geheimen Wahl für die AfD-Politikerin gestimmt haben. Die viel beschworene „Brandmauer“, sie bekam an diesem Abend nicht nur Risse, sie wurde in Bad Salzuflen schlichtweg ignoriert. Ein demokratischer Vorgang, eine legitime Wahl, ein Ergebnis, das auf der freien Entscheidung gewählter Volksvertreter beruht. Man könnte meinen, das sei das Wesen der Demokratie. Doch weit gefehlt.
00:00
00:32
01:31
„Passt uns nicht, machen wir rückgängig“
Die Reaktion auf diesen Wahlsieg ließ nicht lange auf sich warten und sie offenbart ein Demokratieverständnis, das einem kalte Schauer über den Rücken jagt. Anstatt sich der Realität zu stellen oder sich zu fragen, warum selbst Kollegen aus den eigenen Reihen der AfD-Kandidatin das Vertrauen schenkten, schalteten die etablierten Kräfte sofort in den Panikmodus. Allen voran die Linkspartei, die im Rat vertreten ist.
Noch bevor die Tinte auf den Wahlunterlagen trocken war, wurde bereits zum Gegenangriff geblasen. Das Ziel: Die Wahl muss rückgängig gemacht werden. Sofort. Die Linksfraktion reichte umgehend einen Antrag ein, Sabine Reinknecht wieder abzuberufen. Die Begründung? Man höre und staune: Bad Salzuflen sei eine „weltoffene Stadt“, und Auftritte mit prominenten AfD-Politikern wie Björn Höcke oder das Teilen bestimmter Inhalte seien mit dem Amt nicht vereinbar. Kim Neva, die Bürgermeisterkandidatin der Linken, machte aus ihrer Empörung keinen Hehl.
Doch es ist nicht nur die politische Gegnerschaft, die hier aufhorchen lässt. Es ist die Instrumentalisierung rechtlicher Mittel, um ein unliebsames Ergebnis zu korrigieren. Man beruft sich auf Paragraph 67 Absatz 4 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung. Dieser Paragraf ist ein mächtiges Werkzeug: Er ermöglicht die Abberufung von stellvertretenden Bürgermeistern durch eine Zweidrittelmehrheit im Stadtrat. Der Clou dabei: Es müssen keine triftigen Gründe, keine Verfehlungen im Amt, keine Rechtsbrüche vorliegen. Es reicht schlichtweg der politische Wille der Mehrheit. „Die Nase passt uns nicht“, überspitzt formuliert, genügt als Grund für den Rauswurf.

Ein Bürgermeister in Erklärungsnot
Auch der Bürgermeister der Stadt, Dirk Tolkemitt von der CDU, zeigte sich wenig souverän im Umgang mit dem Ergebnis. Anstatt die Wahl als Ausdruck des demokratischen Spektrums zu moderieren, bezeichnete er den Vorgang als „schlimme Sache“. Eine demokratische Wahl als „schlimme Sache“? Diese Wortwahl lässt tief blicken. Sie suggeriert, dass demokratische Prozesse nur dann „gut“ sind, wenn sie das gewünschte Ergebnis liefern. Sobald der Bürger oder hier die Ratsmitglieder anders entscheiden, wird das Ergebnis delegitimiert, problematisiert und im Zweifel – wie jetzt geplant – revidiert.
Tolkemitt, der sich eigentlich als überparteilicher Leiter der Verwaltung verstehen sollte, sieht sich nun mit einer Situation konfrontiert, in der er die Scherben seiner eigenen Koalitionsgespräche zusammenkehren muss. Denn dass Mitglieder seiner eigenen oder befreundeter Fraktionen “fremdgegangen” sind, ist die eigentliche schallende Ohrfeige für das Establishment in Bad Salzuflen.
Systematische Ausgrenzung statt inhaltlicher Auseinandersetzung
Der Fall Bad Salzuflen ist dabei kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in eine Kette von Ereignissen, die ein beunruhigendes Muster in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus offenbaren. Es scheint, als gäbe es mittlerweile ein ungeschriebenes Drehbuch für den Umgang mit AfD-Wahlerfolgen.
Blicken wir nach Duisburg: Dort ging man sogar noch einen Schritt weiter. Um zu verhindern, dass der AfD der ihr zustehende Posten eines Bürgermeisters oder Stellvertreters zufällt, wurde die Position des dritten Bürgermeisters kurzerhand komplett abgeschafft. Man ändert also die Spielregeln, während das Spiel läuft, nur um einen bestimmten Spieler vom Platz zu halten.
Oder schauen wir nach Wattenscheid und Velbert. Auch dort gab es ähnliche Entwicklungen. In Wattenscheid wurde Cedric Sontowski von der AfD zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt – ein seltener Moment, in dem das demokratische Proporzsystem funktionierte. In Velbert erhielt der AfD-Kandidat Rüdiger Gilles sogar 20 Stimmen, obwohl seine Fraktion nur 13 Sitze hält. Sieben Stimmen mehr! Auch dort gab es offensichtlich eine breite, stille Unterstützung aus anderen Parteien, die die offizielle Ausgrenzungsstrategie nicht mehr mittragen wollten. Gilles reagierte mit Demut und versprach, sein Amt zum Wohle aller Bürger auszuüben. Eine Haltung, die man sich von so manchem Berufspolitiker der Altparteien wünschen würde.
Die Masken fallen
Was diese Fälle verbindet, ist die rücksichtslose Art und Weise, mit der gegen gewählte Vertreter einer demokratisch legitimierten Partei vorgegangen wird. Die Begründung ist immer dieselbe: „Kampf gegen Rechts“, „Schutz der Demokratie“. Doch wer schützt die Demokratie eigentlich vor denen, die demokratische Wahlergebnisse nicht akzeptieren wollen?
Die Aktion in Bad Salzuflen entlarvt die Doppelmoral vieler Akteure. Man redet von Toleranz, Vielfalt und Demokratie, aber sobald eine Richtungsentscheidung nicht ins eigene Konzept passt, werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie zu korrigieren. Das Framing der „Gefahr für die Demokratie“ wird genutzt, um selbst undemokratisch zu handeln. Denn was ist es anderes als undemokratisch, wenn man eine Wahl so lange wiederholen oder korrigieren will, bis das Ergebnis stimmt?
Die Forderung der Linkspartei, unterstützt von anderen Fraktionen, zielt darauf ab, ein Zeichen zu setzen. Aber welches Zeichen ist das? Es ist das Signal an den Wähler: Eure Stimme zählt, aber nur, wenn ihr das Richtige wählt. Wählt ihr „falsch“, finden wir Mittel und Wege, das zu korrigieren.

Ausblick: Der Montag der Entscheidung
Nun blickt ganz Bad Salzuflen, ja vielleicht ganz NRW, auf die kommende Sitzung des Stadtrates. Es steht zu erwarten, dass die Einheitsfront der etablierten Parteien versuchen wird, den „Fehler“ zu korrigieren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sabine Reinknecht ihr Amt wieder verliert. Nicht, weil sie es schlecht ausgeübt hätte – sie hatte ja noch gar keine Chance dazu –, sondern schlicht, weil sie das falsche Parteibuch hat.
Dieser Vorgang wird in die Geschichte der Stadt eingehen, aber nicht als Ruhmesblatt für die Verteidigung der Demokratie, sondern als Beispiel dafür, wie man sie aushöhlt, indem man ihre Ergebnisse missachtet. Die Bürger draußen im Land haben ein feines Gespür für solche Ungerechtigkeiten. Sie sehen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Und sie werden sich ihre eigene Meinung bilden – spätestens an der Wahlurne.
Es bleibt abzuwarten, ob die Omas gegen Rechts und die üblichen Demonstrationszüge aufmarschieren werden, um diesen „Sieg der Demokratie“ zu feiern, wenn eine gewählte Frau aus dem Amt gedrängt wird. Für den neutralen Beobachter bleibt jedoch ein bitterer Nachgeschmack: Demokratie ist kein Wunschkonzert. Sie ist ein Prozess, dessen Ergebnisse man aushalten muss. Wer das nicht kann, der hat das Prinzip der Demokratie nicht verstanden – oder er verachtet es insgeheim. Bad Salzuflen ist überall. Und wir sollten genau hinsehen.



