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Vel’ d’Hiv-Razzia in Paris: Als über 13.000 Menschen mitten in der Hauptstadt verschwanden (16.–17. Juli 1942).H
Im besetzten Paris, mitten im Hochsommer 1942, ereignete sich eine Tragödie, die bis heute als ein dunkles Kapitel in der Geschichte Frankreichs und Europas gilt: Die sogenannte Vel’ d’Hiv-Razzia, benannt nach dem „Vélodrome d’Hiver“, einer großen Radrennbahn im 15. Pariser Arrondissement, wurde zur größten Massenverhaftung von Juden auf französischem Boden während der deutschen Besatzung.
Am frühen Morgen des 16. Juli 1942 begann die Operation. Über 9.000 französische Polizisten – nicht etwa die deutsche Wehrmacht oder SS – führten auf Anordnung der Vichy-Regierung in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht eine koordinierte Verhaftungsaktion durch. Ziel war es, möglichst viele ausländische und staatenlose Juden, insbesondere Familien mit Kindern, festzunehmen.
Bis zum 17. Juli wurden insgesamt 13.152 Menschen verhaftet: etwa 2.500 Männer, mehr als 5.000 Frauen und rund 4.000 Kinder. Der Großteil von ihnen wurde in das Vélodrome d’Hiver gebracht, das zuvor als Sport- und Veranstaltungsort genutzt wurde. Dort erwarteten die Menschen katastrophale Bedingungen: Es gab keine sanitären Einrichtungen, kaum Wasser, keine Nahrung und keine medizinische Versorgung. Die Fenster waren versiegelt, die Sommerhitze unerträglich. Viele Kinder irrten alleine umher – verängstigt, hungrig und von ihren Eltern getrennt.
Nach fünf Tagen wurden die Inhaftierten in Lager außerhalb von Paris gebracht, darunter Drancy, Pithiviers und Beaune-la-Rolande. Diese Lager dienten als Zwischenstationen für die Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten Europas – allen voran Auschwitz-Birkenau. Nur wenige der Verhafteten überlebten den Holocaust. Besonders tragisch: Auch Kinder, die zunächst nicht deportiert worden waren, wurden schließlich – meist ohne Angehörige – in die Lager gebracht und ermordet.
Die Planung dieser groß angelegten Aktion fand zwischen französischen Beamten und der deutschen Besatzung statt. Der damalige Chef der französischen Polizei, René Bousquet, koordinierte die Operation gemeinsam mit SS-Offizieren wie Theodor Dannecker und Helmut Knochen. Besonders erschütternd ist die Tatsache, dass die französische Seite freiwillig mitwirkte – und dass diese Zusammenarbeit lange Zeit von der Öffentlichkeit verdrängt wurde.
Erst Jahrzehnte später begann Frankreich, sich offiziell mit dieser Verantwortung auseinanderzusetzen. 1995 erkannte Präsident Jacques Chirac in einer historischen Rede an, dass die Razzia „von Frankreich, vom französischen Staat“ organisiert und durchgeführt wurde – nicht nur von der Besatzungsmacht. Dieser Akt der Anerkennung war ein wichtiger Schritt zur historischen Aufarbeitung.
Bis heute steht die Vel’ d’Hiv-Razzia als Mahnmal für staatliches Versagen, für den Verrat an unschuldigen Mitbürgern und für das Leid von Tausenden Menschen, deren einziges „Verbrechen“ ihre jüdische Herkunft war. In Paris erinnert ein Denkmal unweit des ehemaligen Vélodroms an die Opfer. Auch in Schulen und durch Dokumentationen wird diese Geschichte weitergegeben – als Teil eines kollektiven Gedächtnisses, das nie verstummen darf.
Die Geschichte der Vel’ d’Hiv-Razzia ist nicht nur eine französische Geschichte. Sie ist ein europäisches Kapitel des Holocausts – und ein Beispiel dafür, wie Mitläufertum, Gleichgültigkeit und Bürokratie zu Werkzeugen einer tödlichen Ideologie werden können.
In einer Zeit, in der antisemitische Tendenzen und extremistische Strömungen in Europa wieder zunehmen, ist es wichtiger denn je, sich an solche Ereignisse zu erinnern. Nicht um Schuldzuweisungen zu wiederholen, sondern um aus der Vergangenheit zu lernen und unsere demokratischen Werte zu schützen.
Denn die Gesichter der 13.000 Menschen, die im Juli 1942 verschwanden, dürfen nicht vergessen werden. Ihre Namen, ihre Geschichten, ihre Träume – sie mahnen uns, wachsam zu bleiben.