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Hamburgs ältestes Wohnhaus (1504–1910): Ein stilles Ende nach vier Jahrhunderten Geschichte.H
Mitten im historischen Stadtteil Cremon in Hamburg stand einst ein besonderes architektonisches Juwel: ein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1504, das als das älteste bekannte Wohnhaus der Hansestadt galt. Über 400 Jahre lang überdauerte es Zeiten des Wohlstands und des Umbruchs, bis es schließlich im Jahr 1910 abgerissen wurde – still, unspektakulär, fast vergessen. Doch seine Geschichte erzählt viel über Hamburgs Wandel vom mittelalterlichen Handelszentrum zur modernen Metropole.
Im Jahr 1504 war Hamburg eine wachsende Stadt mit florierendem Handel, insbesondere durch ihre Mitgliedschaft in der Hanse. Die Straßen waren eng, die Häuser hoch, und die Fachwerkbauweise war weit verbreitet. In diesem städtischen Gefüge entstand das kleine Haus in Cremon – mit seinen charakteristischen Holzbalken, engen Stuben und steilen Giebeln.
Es war ein typisches Gängeviertelhaus, wie man sie in Hamburg bis weit ins 19. Jahrhundert hinein kannte. Die Gängeviertel waren dicht bebaute Wohnquartiere, in denen Kaufleute, Handwerker, Hafenarbeiter und ihre Familien lebten. Das Haus stand in direkter Nachbarschaft zu Warenlagern, kleinen Werften und Kanälen, über die die Schiffe ihre Fracht direkt in die Stadt brachten.
Im Laufe seiner Geschichte überstand das Haus zahlreiche große Ereignisse. Es stand zur Zeit der Reformation, als Hamburg lutherisch wurde. Es überlebte den Großen Brand von 1842, der große Teile der Innenstadt zerstörte – doch das kleine Fachwerkhaus blieb verschont. Es war Zeuge der industriellen Revolution, des Aufkommens moderner Infrastruktur und des rapiden Bevölkerungswachstums, das die Stadt grundlegend veränderte.
Über Generationen hinweg wurde das Gebäude immer wieder umgebaut, repariert, erweitert – aber die Grundstruktur von 1504 blieb erhalten. In alten Zeichnungen und Fotografien erkennt man das schlichte, aber würdige Erscheinungsbild des Hauses: niedrig, asymmetrisch, mit verwittertem Holz und kleinen Fenstern – ein leiser, aber beständiger Zeuge einer anderen Zeit.
Im Jahr 1910 wurde das Haus schließlich abgerissen. Der Grund war kein Feuer, keine Naturkatastrophe – sondern der städtische Modernisierungsdrang. Hamburg wuchs schnell. Neue Straßen, größere Gebäude, hygienischere Wohnverhältnisse wurden gefordert. Die alten Gängeviertel galten als überfüllt, unhygienisch und rückständig. Und so fiel auch das älteste Wohnhaus der Stadt der Abrissbirne zum Opfer – ohne großes Aufsehen, ohne Denkmalschutz, ohne Protest.
Rückblickend erscheint dieser Abriss fast symbolisch: Mit dem Ende des Hauses von 1504 endete auch ein Kapitel mittelalterlicher Baukultur in Hamburg. Es war nicht nur ein physisches Gebäude, das verschwand, sondern auch ein Stück Identität, das bis dahin den Geist der alten Hansestadt verkörpert hatte.
Heute erinnert kaum etwas an das alte Haus von Cremon. Keine Gedenktafel, keine Nachbildung, kein Straßenname trägt seine Geschichte. Nur in Archiven, alten Stadtplänen und Schwarzweißfotografien lebt es weiter – und in der Erinnerung jener, die sich für Hamburgs verborgene Vergangenheit interessieren.
Doch in den letzten Jahren wächst das Interesse an der Geschichte der Gängeviertel und der alten Bebauung. Initiativen wie das Gängeviertel-Projekt im Stadtteil Neustadt bemühen sich, das kulturelle Erbe Hamburgs zu bewahren und zu feiern. Auch die historische Forschung nimmt zunehmend die kleinen, scheinbar unscheinbaren Gebäude in den Blick, die nicht auf Postkarten erscheinen, aber das Alltagsleben der Stadt einst prägten.
Das Fachwerkhaus von 1504 war nie ein Palast, kein prächtiger Bau, kein berühmter Ort. Und doch erzählt es eine Geschichte, die exemplarisch ist für Hamburg: von Beständigkeit und Wandel, von Tradition und Fortschritt. Es war ein Zuhause für viele – ein Ort des Lebens, Arbeitens, Alterns. Und auch wenn es nicht mehr existiert, lebt es in der Geschichte der Stadt weiter.
In einer Zeit, in der viele Städte ihre Altbauten modernisieren oder ersetzen, lohnt sich ein Blick zurück – auf Häuser wie jenes in Cremon. Sie erinnern uns daran, dass Geschichte nicht nur in Museen stattfindet, sondern auch in den stillen Zeugen unserer Straßen, Fassaden und Fundamente.