Deutschland und das vergessene Grab in der Ostsee: Das Wrack der MS Wilhelm Gustloff – ein stummer Zeuge des Zweiten Weltkriegs.H
In den Tiefen der Ostsee, etwa 44 bis 50 Meter unter der Wasseroberfläche vor der polnischen Küste zwischen Łeba und Władysławowo, liegt eines der bekanntesten und zugleich tragischsten Schiffswracks des Zweiten Weltkriegs: die MS Wilhelm Gustloff. Einst ein Symbol der NS-Propaganda, später Flüchtlingsschiff und schließlich Grabstätte für Tausende von Menschen, ist das Wrack bis heute ein Mahnmal der Geschichte.
Das 1937 in Dienst gestellte Schiff war ursprünglich ein Kreuzfahrtschiff der „Kraft durch Freude“-Flotte. Es sollte deutschen Arbeitern erschwingliche Urlaubsreisen ermöglichen und gleichzeitig als Prestigeobjekt dienen. Mit Beginn des Krieges änderte sich jedoch die Funktion des Schiffs grundlegend. Es diente zunächst als Lazarettschiff und später als schwimmende Kaserne. Im Januar 1945 wurde die Wilhelm Gustloff schließlich Teil der „Operation Hannibal“, einer der größten Evakuierungsaktionen der Geschichte, bei der Millionen von Zivilisten und Soldaten aus den bedrohten Ostgebieten über die Ostsee in Sicherheit gebracht werden sollten.
Am 30. Januar 1945 stach das Schiff von Gotenhafen (heute Gdynia, Polen) in See. An Bord befanden sich nach Schätzungen zwischen 9.000 und 10.000 Menschen – Flüchtlinge, Verwundete und Militärangehörige. In der bitterkalten Nacht wurde die Wilhelm Gustloff von einem sowjetischen U-Boot torpediert. Innerhalb kürzester Zeit sank das Schiff. Schätzungen zufolge kamen dabei über 9.000 Menschen ums Leben, darunter viele Frauen und Kinder. Damit gilt der Untergang als die größte Schiffskatastrophe der Geschichte, noch vor der Titanic oder der Lusitania.
Heute zeigt sich das Wrack als zerstörte Ruine. Zeit, Witterung und menschliche Eingriffe haben ihren Spuren hinterlassen. Nur noch Teile des Hecks und die Bugspitze sind in ihrer ursprünglichen Form erkennbar. Der mittlere Bereich des Schiffs ist hingegen eingestürzt und gleicht einer zerdrückten Masse aus Metall. Nach dem Krieg wurden Teile des Wracks gesprengt – vermutlich sowohl durch Schatzsucher als auch durch Behörden, die mögliche Gefahren für die Schifffahrt beseitigen wollten.
Das Wrack ist heute ein geschütztes Kriegsgrab. Eine strenge 500-Meter-Sperrzone verbietet es, dort zu tauchen, zu ankern oder zu fischen. Damit soll die Stätte nicht nur vor Plünderungen bewahrt werden, sondern auch die Würde der Opfer respektiert werden. Für Überlebende, Angehörige und Historiker ist die Wilhelm Gustloff bis heute ein Symbol für menschliches Leid im Krieg und die unermesslichen Opfer, die Zivilisten in dieser Zeit bringen mussten.
Deutschland gedenkt dieses Ereignisses auf unterschiedliche Weise. Dokumentationen, Ausstellungen und Bücher erinnern regelmäßig an die Katastrophe. Gleichzeitig bleibt das Thema komplex, da die Erinnerung an das Schicksal deutscher Flüchtlinge lange Zeit im Schatten anderer Kriegsverbrechen stand. Erst in den letzten Jahrzehnten hat eine breitere öffentliche Diskussion darüber eingesetzt, wie auch das Leid deutscher Zivilisten im Kontext des Krieges historisch einzuordnen ist.
Das Wrack selbst bleibt ein stiller, unzugänglicher Zeuge der Vergangenheit. Unter der Wasseroberfläche ruht es als Mahnung, dass Krieg nicht nur Armeen zerstört, sondern vor allem unzählige unschuldige Menschenleben fordert. Die MS Wilhelm Gustloff erinnert uns daran, dass hinter jeder Zahl, hinter jeder Statistik menschliche Schicksale stehen – Hoffnungen, Ängste und Träume, die mit dem Schiff in die Tiefe gerissen wurden.