- Homepage
- Uncategorized
- Der letzte Marsch – der verzweifelte Aufruf des Volkssturms in den Straßen Berlins, 1945.H
Der letzte Marsch – der verzweifelte Aufruf des Volkssturms in den Straßen Berlins, 1945.H
Berlin, Winter 1944. Der Schnee fällt leise auf die zerstörten Straßen, die Luft riecht nach Rauch und Asche. Die Stadt ist müde, ausgezehrt von Jahren des Bombardements, doch an diesem Tag marschiert noch eine neue Truppe durch die Straßen – der Volkssturm, die letzte Verteidigungslinie des Dritten Reiches.
Sie tragen alte Uniformteile, manchmal nur Mäntel aus Zivilkleidung, und die Waffen, die sie halten, sind ein seltsames Sammelsurium: veraltete Gewehre aus dem Ersten Weltkrieg, italienische Karabiner, Panzerfäuste, ja sogar Jagdgewehre. Doch in ihren Gesichtern liegt mehr Verzweiflung als Entschlossenheit. Denn diese Männer sind keine Soldaten – sie sind das, was von einem erschöpften Land übrig blieb.
Im Herbst 1944 hatte Adolf Hitler den Volkssturm ins Leben gerufen – eine Miliz aus allen Männern zwischen 16 und 60 Jahren, die nicht bereits in der Armee dienten. Sie sollten „die Heimat verteidigen“, doch in Wirklichkeit war es ein Akt der Verzweiflung. Deutschland stand kurz vor dem Zusammenbruch, die Fronten bröckelten im Osten und Westen, und die Wehrmacht konnte den Verlust von Millionen Gefallenen nicht mehr ausgleichen.
In Berlin wurden ganze Schulklassen, Beamte, Rentner und Arbeiter einberufen. Viele hatten nie eine Waffe in der Hand gehalten. Ihre Ausbildung dauerte oft nur wenige Tage, manchmal nur Stunden. Es gab keine richtige Uniform, kaum Munition und oft nicht einmal genügend Schuhe. Trotzdem mussten sie an die Front, gegen die erfahrenen Truppen der Roten Armee und der Alliierten.
Die Propaganda versprach ihnen, sie seien die „letzten Helden des Reiches“. Doch tief in ihrem Inneren wussten viele, dass es kein Sieg mehr geben würde. Die meisten kämpften nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst – vor der Gestapo, vor der Schande, oder einfach, weil sie ihre Familien schützen wollten.
Im Januar 1945 wurden die ersten Berliner Volkssturmeinheiten in den Kampf geschickt. In improvisierten Stellungen, hinter zerstörten Häusern und Barrikaden, versuchten sie, die sowjetischen Panzer aufzuhalten. Manche hatten Panzerfäuste, andere nur Mut und Verzweiflung. Die Verluste waren entsetzlich. Ganze Einheiten verschwanden in wenigen Stunden.
Zeitzeugen beschrieben, wie diese Männer marschierten – mit starren Gesichtern, manche mit Tränen in den Augen. Kinder von sechzehn Jahren neben Männern über sechzig. Ein groteskes Bild der totalen Mobilmachung. „Es war kein Heer“, schrieb ein Überlebender später, „es war ein Trauerzug in Uniform.“
Viele Offiziere der Wehrmacht kritisierten die Gründung des Volkssturms. Sie nannten es eine Verschwendung von Waffen und Munition, die besser an ausgebildete Soldaten gegangen wären. Doch der Befehl kam von oben, und niemand wagte zu widersprechen.
Als im April 1945 die Schlacht um Berlin begann, wurden die letzten Volkssturmeinheiten in die Verteidigung der Stadt geworfen. Sie kämpften in den Straßen, in den U-Bahn-Schächten, zwischen den Ruinen. In den letzten Tagen des Reiches standen Jungen mit Panzerfäusten an den Kreuzungen, während über ihnen sowjetische Artillerie unaufhörlich feuerte.
Es gibt Fotos aus diesen Tagen – Männer in übergroßen Mänteln, mit Helmen, die ihnen zu groß sind, marschierend durch die Trümmer der Reichshauptstadt. Manche lächeln verlegen, andere schauen leer in die Kamera. Vielleicht wussten sie, dass sie ein Teil des letzten, sinnlosen Aufbäumens waren.
Der Volkssturm symbolisiert die Verzweiflung und den Untergang eines Regimes, das längst verloren hatte. Er zeigt, wie weit ein totalitärer Staat gehen konnte, um seine Illusionen von Macht und Ruhm bis zum bitteren Ende zu bewahren – selbst um den Preis, die eigenen Kinder in den Tod zu schicken.
Nach dem Krieg verschwand der Volkssturm schnell aus dem kollektiven Gedächtnis. Viele wollten vergessen, dass sie ein Teil davon waren. Doch in alten Fotos und Berichten lebt die Erinnerung weiter – nicht als Heldengeschichte, sondern als Warnung.
Wenn man heute die Bilder dieser letzten Marschkolonnen betrachtet, sieht man nicht den Stolz einer Nation, sondern ihre Erschöpfung. Männer, die wussten, dass sie nichts mehr retten konnten. Gesichter, in denen Hoffnung und Angst zugleich wohnen.
Der Volkssturm war kein Zeichen von Stärke – er war das letzte Echo eines Systems, das im Chaos unterging.
Berlin, Frühjahr 1945: In den Ruinen der Reichshauptstadt verstummt das letzte Marschlied. Die Schritte der Volkssturmmänner hallen durch die zerstörten Straßen – leiser, schwächer – bis nur noch Stille bleibt.