Blamage im Bundestag: Wenn „Atom-Experten“ an der Zahl Vier scheitern – Linken-Techniker zerlegt AfD-Antrag nach Strich und Faden.H
Es gibt Tage im Deutschen Bundestag, an denen die politische Debatte zu einem trockenen Austausch von Paragrafen verkommt. Und dann gibt es Tage wie diesen, an denen die Masken fallen, der Plenarsaal tobt und eine Mischung aus Fassungslosigkeit und schallendem Gelächter die Atmosphäre bestimmt. Was sich kürzlich im Hohen Haus abspielte, war eine Lehrstunde der besonderen Art – und zwar in zweierlei Hinsicht: Erstens, wie man sich durch handwerkliche Unfähigkeit selbst ins Abseits manövriert, und zweitens, wie man mit technischem Sachverstand ideologische Luftschlösser zum Platzen bringt. Im Mittelpunkt des Geschehens: Ein fehlerhafter AfD-Antrag und ein Ralph Lenkert in Höchstform.
Mathematik: Ungenügend, setzen!
Man sollte meinen, dass Abgeordnete, die den Anspruch erheben, die Geschicke einer der größten Volkswirtschaften der Welt zu lenken, zumindest die Grundlagen der formalen Logik beherrschen. Doch der Antrag, den die AfD-Fraktion zur „Rettung“ der deutschen Atomkraft vorlegte, scheiterte bereits an der einfachsten Hürde: dem Zählen.
„In Ihrem Änderungsantrag möchten Sie Nummer 3 streichen und Nummer 4 zu Nummer 3 machen“, begann Ralph Lenkert seine Rede süffisant, während ein Raunen durch die Reihen ging. Was folgte, war der verbale Knockout in der ersten Runde: „Sie können nicht einmal bis vier zählen und wollen Kompetenz bei Atomkraft besitzen?“

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Dieser Satz saß. Er war mehr als nur eine Spitze gegen einen Schreibfehler; er war ein Sinnbild für die oft kritisierte Oberflächlichkeit, mit der komplexe Themen von Rechtsaußen behandelt werden. Wer die Nummerierung eines offiziellen Dokuments nicht im Griff hat, dem traut man nur schwerlich zu, hochkomplexe Risikotechnologien zu managen. Das Gelächter der anderen Fraktionen war nicht nur Häme – es war der Ausdruck einer tiefen Irritation über den Dilettantismus, mit dem hier Politik gemacht werden soll.
Der Techniker gegen die Ideologen
Doch Ralph Lenkert, selbst gelernter Werkzeugmacher und Techniker, beließ es nicht bei der formalen Demütigung. Was folgte, war eine inhaltliche Dekonstruktion, die in ihrer Klarheit und Schärfe selten ist. Lenkert sprach nicht als Politiker, der in abstrakten Worthülsen schwelgt, sondern als „Techniker“, der sich die „harten Fakten“ ansieht. Und diese Fakten sind für die Atom-Nostalgiker der AfD vernichtend.
Der Kern des AfD-Vorstoßes war der Wunsch, den deutschen Atomkraftwerken quasi eine Bestandsgarantie und Gewinngarantien für 20 Jahre zu geben. Ein frommer Wunsch, der jedoch an der physischen Realität scheitert. Lenkert listete Punkt für Punkt auf, warum ein schnelles Hochfahren der alten Meiler technisch schlicht unmöglich ist:
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Die Brennstäbe sind alle: Es ist nicht so, als könnte man Uran im Supermarkt kaufen. „Die Brennstäbe der deutschen AKWs sind aufgebraucht“, stellte Lenkert klar.
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Lieferzeiten aus der Hölle: Wer heute neue Brennstäbe bestellt, bekommt sie nicht morgen, sondern frühestens in 18 Monaten. Eine kurzfristige Lösung für Energieengpässe? Fehlanzeige.
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Marode Technik: Die noch vorhandenen Meiler sind auf dem technischen Stand der 80er Jahre. Wichtige Wartungen und Revisionen wurden in Erwartung des Atomausstiegs schlichtweg nicht mehr durchgeführt. Man würde also versuchen, einen Oldtimer ohne TÜV und mit abgefahrenen Reifen auf die Formel-1-Strecke zu schicken.
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Gerissene Lieferketten: Ersatzteile für diese alten Anlagen liegen nicht im Regal. Die Lieferketten sind längst abgerissen, das Know-how wandert ab.
Es ist diese technische Nüchternheit, die Lenkerts Rede so viral macht. Er argumentiert nicht mit „Moral“ oder „Klima-Angst“, sondern mit Schrauben, Lieferfristen und Wartungsintervallen. Gegen diese Art der Argumentation wirkt das ideologische Pochen der AfD auf die „gute alte Atomkraft“ wie ein bizarres Realitätsverweigerungsprogramm.

Das Märchen vom billigen Atomstrom
Ein weiteres Narrativ, das die AfD gebetsmühlenartig wiederholt, ist die Mär vom unschlagbar günstigen Atomstrom, der den deutschen Bürger entlasten würde. Auch hier holte Lenkert zum Rundumschlag aus und präsentierte Zahlen, die jedem Steuerzahler die Tränen in die Augen treiben müssten.
„Atomkraftwerke sind teuer“, donnerte er ins Plenum. Über 150 Milliarden Euro seien bereits in die deutschen AKWs geflossen – „gepampert“ mit Steuergeldern. Doch der Blick ins Ausland ist noch erschreckender. Als Warnbeispiel führte er das neue britische Atomkraftwerk Hinkley Point C an. Ein Projekt, das eigentlich zeigen sollte, wie die nukleare Renaissance funktioniert, und das sich stattdessen zum größten finanziellen Desaster der jüngeren Industriegeschichte entwickelt.
„Das erhält über 30 Jahre mindestens 100 Milliarden Euro Subvention“, rechnete Lenkert vor. 100 Milliarden! Im Vergleich dazu wirken die Kosten für Wind- und Solarstrom wie „echte Schnäppchen“. Die Botschaft ist klar: Wer heute nach Atomkraft schreit, schreit nicht nach billigem Strom, sondern nach massiven Steuererhöhungen oder einer Verschuldung, die noch unsere Urenkel abbezahlen werden. Denn die Ewigkeitskosten für die Lagerung des Atommülls – für die der Steuerzahler schon heute jährlich über eine Milliarde Euro blechen muss – sind in den Milchmädchenrechnungen der Atom-Lobbyisten noch gar nicht enthalten.
Statistik des Schreckens
Den emotionalen Höhepunkt erreichte die Rede jedoch, als Lenkert auf die Sicherheit zu sprechen kam. Auch hier nutzte er keine Panikmache, sondern die eigene Mathematik der Atomlobby gegen sie. Diese behauptet gerne, ein schwerer Unfall (ein GAU) passiere statistisch gesehen nur alle 10.000 Betriebsjahre pro Reaktor. Klingt sicher, oder?
Nicht, wenn man rechnen kann. „Bei 400 Reaktoren weltweit“, so Lenkert, „bedeutet das alle 25 Jahre ein Super-GAU.“ Und die Geschichte gibt ihm recht: Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima. Die Abstände sind erschreckend präzise. „Der nächste GAU wird kommen“, warnte Lenkert eindringlich. Es ist eine Wette auf Zeit, die man nicht gewinnen kann. Wer angesichts dieser Statistik und der ungelösten Endlagerfrage immer noch Laufzeitverlängerungen fordert, handelt nicht nur wirtschaftlich unvernünftig, sondern spielt russisches Roulette mit der Gesundheit der Bevölkerung.

Was bleibt?
Der Antrag der AfD wurde am Ende natürlich abgeschmettert. Doch was bleibt, ist mehr als nur ein parlamentarischer Vorgang. Es ist die Offenlegung einer erschreckenden Inkompetenz bei jenen, die sich gerne als die einzige Alternative inszenieren. Wenn man bei einem derart zentralen Thema wie der Energieversorgung nicht nur die technischen und wirtschaftlichen Realitäten ignoriert, sondern schon an der Nummerierung der eigenen Forderungen scheitert, verliert man jeglichen Anspruch, ernst genommen zu werden.
Ralph Lenkert und Die Linke haben an diesem Tag gepunktet, nicht durch lautes Geschrei, sondern durch das, was man in der Politik so oft vermisst: Fachkompetenz und Bodenhaftung. Die Forderung nach Energiespeichern und einem Ende der Preis-Abzocke klingt in den Ohren vieler Bürger wesentlich attraktiver als das riskante und teure Abenteuer einer Atom-Renaissance.
Für die AfD bleibt nur die Erkenntnis: Wer mit den großen Hunden pinkeln will, muss erst mal das Bein heben können – oder zumindest bis vier zählen.




