Berliner Nachkriegsgeschichte auf Rädern: Was aus den BVG-Bussen der Vorkriegszeit wurde.H
Wenn man heute durch Berlin fährt, begegnet man modernen Bussen mit Klimaanlage, digitalen Anzeigen und barrierefreiem Einstieg. Doch kaum jemand denkt dabei an die bewegte Geschichte, die viele der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und ihre Fahrzeuge im 20. Jahrhundert erlebt haben – vor allem in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Einige dieser Busse überlebten nicht nur den Krieg, sondern fuhren noch jahrzehntelang durch Deutschland. Ihre Geschichte ist auch ein Spiegelbild der deutschen Teilung, des Wiederaufbaus – und des Alltags nach dem großen Zusammenbruch.
Vor dem Krieg verfügte die BVG über insgesamt 163 Busse eines bestimmten Typs, die sich durch Zuverlässigkeit und modernes Design auszeichneten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Mai 1945, war jedoch nichts mehr wie zuvor: Die Stadt war zerstört, die Infrastruktur lag am Boden – und der öffentliche Nahverkehr stand buchstäblich still. Viele Fahrzeuge waren beschädigt, geplündert oder von der Wehrmacht für Kriegszwecke beschlagnahmt worden.
Erstaunlicherweise konnten 113 dieser ursprünglichen 163 Fahrzeuge nach Kriegsende zur BVG zurückgeführt werden. Sie wurden in mühevoller Kleinarbeit repariert, wieder fahrtüchtig gemacht und erneut in Betrieb genommen. Besonders bemerkenswert ist dabei der Weg einzelner Wagen: So kehrte zum Beispiel Wagen 49 erst 1949 von Hamburg zurück an die Spree. Andere Fahrzeuge wie Wagen 235 und 250 wurden sogar an die Lübecker Verkehrsgesellschaft (LVG) verkauft – ein Beleg für die Knappheit an fahrtüchtigen Fahrzeugen in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Doch die Geschichte dieser Busse endet nicht in Berlin. Mit der politischen Teilung der Stadt nach 1948/49 und der formalen Gründung zweier deutscher Staaten (BRD und DDR) wurde auch die BVG gespalten – in eine westliche und eine östliche Verwaltungseinheit. Die BVG (West) behielt 20 betriebsfähige Busse, während 28 Fahrzeuge bei der BVG (Ost) verblieben. Diese Aufteilung markierte den Anfang zweier sehr unterschiedlicher technischer und organisatorischer Entwicklungen im Berliner Nahverkehr.
Im Westen wurden die alten Fahrzeuge zwar weiterverwendet, jedoch zunehmend durch modernere Modelle ersetzt. Bereits um 1955 endete der reguläre Einsatz der alten Vorkriegsserie in Berlin (West). In Ost-Berlin hingegen war die Situation eine andere: Dort blieb man aus wirtschaftlichen Gründen länger auf bewährte Technik angewiesen. Erst 1961 wurde der letzte Bus dieser Serie außer Dienst gestellt – immerhin mehr als 20 Jahre nach dem Krieg.
Doch auch dann fuhren einige dieser Busse weiter – allerdings nicht mehr in Berlin. Die DDR übergab mehrere Fahrzeuge an andere regionale Verkehrsbetriebe, sogenannte Verkehrskombinate. So gelangten unter anderem sechs Busse des Typs D3 nach Dessau, wo sie noch einige Jahre im öffentlichen Verkehr eingesetzt wurden. Diese Weiterverwendung zeigt, wie wertvoll und langlebig technische Ressourcen in der DDR behandelt wurden – und wie wichtig Mobilität auch in strukturschwachen Regionen war.
Die Geschichte dieser Busse ist mehr als nur eine Anekdote technischer Wiederverwertung. Sie ist ein lebendiges Stück Stadtgeschichte, das viele Entwicklungen der Nachkriegszeit sichtbar macht: den Mangel, den Wiederaufbau, die Teilung der Stadt – und den Alltag der Menschen, die trotz aller Schwierigkeiten zur Arbeit, zur Schule oder zum Markt fahren mussten. Die Busse wurden zu rollenden Zeitzeugen, die durch Trümmerlandschaften ebenso fuhren wie später durch geteilte Stadtviertel und über provisorische Grenzlinien.
Heute erinnern nur noch wenige Museumsstücke und alte Fotografien an diese Ära. Die meisten Fahrzeuge wurden verschrottet, Teile wiederverwertet, ihre Spuren im Berliner Stadtbild längst verschwunden. Doch ihre Geschichte bleibt. Dokumentationen wie „100 Jahre Berliner Busse – Die ersten 40 Jahre“ von Peter Müller-Mark oder alte Ausgaben des Berliner Verkehrsblatts halten die Erinnerung an diese besonderen Fahrzeuge wach.
In einer Stadt wie Berlin, die so viel Wandel erlebt hat, verdienen auch die stillen Begleiter des Alltags ihren Platz in der Erinnerung – besonders jene, die auf holprigen Straßen halfen, ein neues Kapitel aufzuschlagen.