Alice Weidels „Titanic“-Rede: Ein radikaler 12-Punkte-Plan für Deutschland sorgt für Beben im Bundestag .H
Es war einer dieser Momente im Deutschen Bundestag, in dem die Luft vor Spannung förmlich knisterte. Als Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion, das Rednerpult betrat, war jedem im Saal klar: Das wird keine 08/15-Haushaltsrede. Und tatsächlich, was folgte, war eine rhetorische Breitseite, die an Dramatik und Schärfe kaum zu überbieten war. Mit einem Bild, das sich sofort in die Köpfe der Zuhörer brannte, eröffnete sie ihre Rede: Die Koalition im „Endstadium“ gleiche der Titanic.
Das Bild der sinkenden Titanic
„Deutschland hat Schlagseite, die Schotten laufen voll, aber Sie lassen die Bordkapelle immer die gleichen Beruhigungsmelodien spielen“, schleuderte Weidel der Regierungsbank entgegen. Der Vergleich saß. Er malte das Bild einer Regierung, die – so Weidels Lesart – völlig den Bezug zur Realität verloren hat, während das „Staatsschiff“ auf nicht nur einen, sondern gleich fünf Eisberge zusteuert. Der Kapitän, so ihr Vorwurf an Olaf Scholz, habe nichts mehr zu sagen, weil ihm der erste Offizier die Mütze geklaut habe. Ein Hieb, der die Führungsschwäche des Kanzlers symbolisieren sollte. Doch was sind diese fünf Eisberge, von denen Weidel spricht? Es ist eine Melange aus Krisen, die Deutschland laut AfD an den Rand des Abgrunds gebracht haben: der Sozialstaat, die Migration, die Wirtschaft, die Energie und die Staatsfinanzen.

Sozialstaat und Migration – Eine untrennbare Krise?
Besonders emotional wurde es, als Weidel auf den Sozialstaat zu sprechen kam. Sie zeichnete das Szenario eines Systems, das völlig aus dem Ruder läuft. Ein Drittel der Steuereinnahmen nur für die Rentenkasse? 42,3 Prozent Lohnnebenkosten? Für Weidel ein „Menetekel“. Doch sie beließ es nicht bei trockenen Zahlen. Sie verknüpfte die Krise der Sozialsysteme direkt und untrennbar mit der Migrationspolitik.
„Millionen Menschen sind in den letzten zehn Jahren unkontrolliert ins Land geströmt und zu einem großen Teil direkt in die Sozialsysteme eingewandert“, rief sie unter dem Applaus ihrer Fraktion. Hier zeigte sich die klare Kante der AfD: Der arbeitenden Bevölkerung würden Lasten aufgebürdet, um ein „längst zum Migrantengeld gewordenes Bürgergeld“ zu finanzieren. Weidel sparte nicht mit drastischen Beispielen: Schulklassen in Bayern, in denen kein Kind mehr Deutsch als Muttersprache spricht, Weihnachtsmärkte, die zu Festungen werden. Es war eine Rede, die Ängste aufgriff und verstärkte, um die Dringlichkeit ihres eigenen Lösungsansatzes zu unterstreichen.
Wirtschafts-Exodus und Energie-„Irrsinn“
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Kein Thema bewegt die Gemüter derzeit so sehr wie die wirtschaftliche Lage, und Weidel wusste genau, welche Knöpfe sie drücken muss. Sie sprach von einem „industriellen Kern“, der in atemberaubendem Tempo erodiere. 50.000 Jobs in der Autoindustrie weg, eine Pleitewelle, die über den Mittelstand hinwegfegt – Weidels Diagnose ist ein wirtschaftlicher Totalschaden.
Die Schuldigen hat sie schnell ausgemacht: Die „hausgemachte Energiekrise“ und der „grüne Irrsinn“. Die CO2-Bepreisung sei nichts anderes als eine „Steuer auf Luft“, eine künstliche Verteuerung, die Unternehmen ins Ausland treibe. Hier wurde der Ton besonders scharf, fast schon verächtlich gegenüber der Klimapolitik der Ampel. Deutschland wolle die Welt retten und gehe dabei selbst zugrunde – so das Narrativ, das bei ihrer Wählerschaft auf fruchtbaren Boden fällt.
Der „Deutschland-Plan“: 12 Punkte für die Wende
Doch Weidel blieb nicht bei der bloßen Kritik stehen. Mit der Geste einer Staatsfrau, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, präsentierte sie den „Deutschland-Plan“. Ein 12-Punkte-Sofortprogramm, das nichts weniger als eine radikale Kehrtwende in fast allen Politikbereichen vorsieht.

Energie-Revolution: Sofortiges Ende der „Energiewende“. Weidel fordert den Stopp des Rückbaus von Kernkraftwerken und den Wiedereinstieg in die Atomkraft. Mehr noch: Öl und Gas sollen dort gekauft werden, wo sie am günstigsten sind – auch und gerade in Russland.
Stopp der Klima-Subventionen: Weg mit den Förderungen für Wind und Solar, ersatzlose Streichung der CO2-Bepreisung und sofortige Abschaffung des Heizungsgesetzes.
Wirtschafts-Freiheit: Rückkehr zur Marktwirtschaft statt „ökosozialistischer Planwirtschaft“. Das bedeutet konkret: Weg mit dem Verbrenner-Verbot und dem Lieferkettengesetz.
Entfesselung: Ein Programm zum Abbau bürokratischer Hürden und zur drastischen Senkung von Steuern und Abgaben.
Sozial-Reform: Zurück zum „Solidarprinzip“. Volle Leistungen nur für diejenigen, die eingezahlt haben. Das Bürgergeld soll durch eine „aktivierende Grundsicherung“ ersetzt werden.
Renten-Rettung: Entlastung der Rentenkasse von versicherungsfremden Leistungen. Alle, auch Politiker und Beamte, sollen einzahlen.
Migrations-Wende: Die wohl härteste Forderung: „Politik der geschlossenen Tür“. Lückenlose Grenzkontrollen, Zurückweisungen und rigorose Abschiebungen.
Stopp der Magnet-Wirkung: Nur noch Sachleistungen für Asylbewerber, kein Bargeld mehr. Einbürgerung erst nach 10 Jahren und nur bei voller Berufstätigkeit.
Staats-Diät: Streichung der Staatsausgaben. Der Staat soll sich auf Sicherheit und Ordnung beschränken und sich aus dem Privatleben heraushalten.
Kulturkampf: Streichung von Subventionen für „politische Pseudo-NGOs“, Verbot der Antifa als Terrororganisation und – ein Klassiker der AfD – Abschaffung der GEZ-Gebühren.
Geld für Deutschland: Ende der Entwicklungshilfe („Verschenken von Steuergeld“). Ressourcen sollen im eigenen Land bleiben.
Steuer-Reform 25: Einheitliche, niedrige Steuersätze, Familiensplitting und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Der Angriff auf die Union
Ein strategisch besonders interessanter Teil der Rede war der direkte Angriff auf die CDU/CSU und Friedrich Merz. Weidel warf Merz vor, im Wahlkampf zwar AfD-Forderungen zu kopieren, aber nach der Wahl seine Versprechen regelmäßig zu brechen. „Sie haben sich zum Gefangenen der linken Einheitsfront gemacht“, rief sie in Richtung der Unionsfraktion.
Es war der Versuch, einen Keil zwischen die Union und mögliche Koalitionspartner zu treiben und gleichzeitig den enttäuschten konservativen Wählern ein Angebot zu machen. „Es liegt an Ihnen“, appellierte sie an die Union, „ob Sie sich weiter am Gängelband der Linken und Grünen führen lassen wollen“. Die Botschaft war klar: Die bürgerliche Mehrheit ist da, man müsste sie nur nutzen – natürlich unter Einbeziehung der AfD.
Ein Parlament in Aufruhr
Die Reaktionen im Bundestag waren erwartbar heftig. Während die AfD-Fraktion ihre Vorsitzende mit Standing Ovations feierte, herrschte bei den anderen Parteien Unmut, teils offene Empörung. Zwischenrufe, Kopfschütteln und hämisches Lachen begleiteten Teile der Rede, besonders als Weidel Donald Trump als Chance für den Frieden pries und die deutsche Außenpolitik als gescheitert erklärte.
Doch Weidel ließ sich nicht beirren. In ihrer Schlussbemerkung inszenierte sie sich und ihre Partei als die einzigen wahren Patrioten: „Wir sind bereit, aus Liebe und Verantwortung für Deutschland.“

Fazit: Wahlkampf pur
Diese Rede war mehr als nur ein Debattenbeitrag; sie war der Startschuss für einen harten, polarisierenden Wahlkampf. Alice Weidel hat die Themen gesetzt, mit denen die AfD punkten will: Migration, Energiepreise, Angst vor dem sozialen Abstieg. Ihr „Deutschland-Plan“ ist radikal und bricht mit fast allem, was in den letzten Jahren politischer Konsens war.
Ob man Weidels Analysen teilt oder sie als populistische Panikmache abtut – eines kann man dieser Rede nicht absprechen: Sie hat den Finger in die Wunden gelegt, die viele Menschen in diesem Land spüren. Die Titanic-Metapher mag drastisch sein, aber sie fängt das Gefühl der Unsicherheit ein, das viele Deutsche derzeit umtreibt. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Wähler bereit sind, den Kapitän zu wechseln – oder ob sie Weidels Warnungen als bloße Schwarzmalerei betrachten. Sicher ist nur: Es wird stürmisch.




